Vorwiegend botanisch - mit einer hübschen Ausnahme ...

11.06.2016

Eigentlich wollte ich nur "schnell mal in den Wald", um Holunder zu pflücken für erfrischenden Saft und getrocknet für heilenden Tee. Die Leinentaschen waren schnell gefüllt - und dann gings bei trübem Wetter einfach drauflos, ohne viel Hoffnung auf eine auch nur halbwegs ergiebige Fotoausbeute. Aber wie so oft in der Natur kommt alles anders ...

Die Sträucher haben abgewechselt - anstatt der schon verblühten Berberitze und dem Hartriegel hat sich der Liguster (Ligustrum vulgare) mit weißen Kerzen geschmückt, die wächsern aus dem Halbdunkel des Wegrandes herausleuchten ....

Nun, wenn ich schon unterwegs bin, dann schau ich eben doch genauer auf die Pflanzen am Weg, und so fällt mir ein brauner Fleck im grünen Gewirr auf ... nunja, für die Wohnung sind ihre flinken Schwestern ein Schreckgespenst, aber hier im Wald ist die Gemeine Waldschabe (Ectobius lapponicus) wohl für keine Hausfrau ein Problem. Friedlich sitzt sie da und läßt ihre langen Antennen spielen. Sucht sie nach Nahrung? Sucht sie nach einem Partner/einer Partnerin? Ich hab sie gefragt, aber ... leider, leider, keine Antwort bekommen!

Nanu - unweit vom Weg aber doch deutlich im Wald leuchtet eine für diesen Standort ungewöhnliche Farbe heraus. Eine Bartnelke (Dianthus barbatus) hat auf vorerst unergründlichem Wege hierher gefunden. Ein prüfender Blick in den Wurzelraum zeigt jedoch schnell, dass sie sich nicht freiwillig hier befindet: die Wurzelballen liegen nur lose am Boden, rundherum ein wenig vor sich hinrottende Gartenabfälle: Da hat jemand die Bartnelken im Wald entsorgt ... ob sie ihm/ihr wohl nicht schön genug geblüht haben??? Ätsch - sag' ich da nur !! Oder doch: Danke!?

Durch den hohen Bewuchs am Wegrand kämpft sich die zarten Äste sparrig ausbreitend ein Blasen-Leimkraut (Silene vulgaris) in die Höhe. Als Kinder haben wir damit so manchen heftigen Knall produziert ... im Volksmund heißt sie deshalb auch "Klatschnelke".

Weil sie nur nachts ihren Duft verströmt, kommen hauptsächlich Nachtfalter mit langen Rüsseln für die Bestäubung in Frage. Allerdings interessieren sich auch Hummeln für den Nektar in der schlecht zugänglichen Blüte. Sie lösen dieses Problem mittels "Nektarraub": sie beißen ein Loch in den Kelch und schnappen sich, was sie so kriegen können ... eine Bestäubung findet so allerdings nicht statt ...

Zwichen Blättern und Gräsern hat ein Vogel seine leichte und leise Spur hinterlassen .... nach der Größe der Flaumfeder und den im Verhältnis zur Länge sehr langen und auch sehr weichen Dunen zu schließen, ist sie von einem jungen Nachtvogel, einer Eule ...

Pausenlos juckt es auf den Armen, unter den Achseln des kurzärmeligen Hemds kribbelt es, in den Kopfhaaren krabbelt es, sogar auf Stirn und am Kinn ist es zu spüren, und dennoch hilft kein abstreifen, kratzen oder drüberwischen ... bis ich einmal stehenbleibe und geduldig warte .... und da fliegt auch schon so ein kleiner Quälgeist an und flutscht förmlich an die Haut: eine summende Horde der Hirschlausfliege (Lipoptena cervi) treibt ihren Schabernack mit mir, kommt und geht, wie sie will, und sind kaum abzustreifen, so flach drücken sie sich mit ihren sechs fast durchsichtigen Beinchen an die Haut zwischen die Haare! Ich kenne sie vom Gebirge und meist sammeln sie sich an bestimmten Orten - und so ergreife ich eilig die Flucht und bringe einige Sträucher zwischen sie und mich, die sie abhalten sollen, mir nachzufolgen. Inzwischen überlege ich, ob es sehr schmeichelhaft für mich ist, dass sie mich so angeflogen sind, denn eigentlich ist eher das Fell der Hirsche, Dachse oder .... Wildschweine ihr Ziel.

Irgendetwas zupft mich bei der Flucht an den Hosenbeinen und ich schaue nach. Ich bin in einen Bereich voller Ranken der Brombeere (Rubus sp.) geraten, und die grimmigen Haken daran lassen meine Eile schwinden. Weder die Hose noch die Haut auf den Beinen soll schließlich in Fetzen gehen - dickere Ranken sind sehr wohl in der Lage, es mit beidem gleichzeitig aufzunehmen ....

Die Brombeeren sind glücklich überwunden, und ich kreuze den Weg einer alten Bekannten, die hier aber einen wahren Teppich von Grün ausgebreitet hat: das Klein-Springkraut (Impatiens parviflora) ist hier in wahren Massen zu finden und steht in Vollblüte...

Hier noch einmal die Einzelblüte des hübschen Klein-Springkrauts (Impatiens parviflora) ... da muss man die Nase schon sehr sehr tief halten, um ihr so in den Schlund gucken zu können!

Leises Knarren und Stöhnen klingt durch die Waldlichtung. Ein alter abgestorbener Baum reibt sich an einem anderen und bringt diese Töne dabei hervor. Ich besehe mir den Stamm genau, denn totes Holz ist wichtig und wertvoll in einem gesunden naturnahen Wald! Er beherbergt zahllose Insekten, die wiederum Nahrungsquelle für Vögel sind, und Hohlräume sind ein Wohnungsangebot an Spechte, Eulen, Meisen, Kleiber .... aber auch Siebenschläfer, Marder und - wenn in geringer Höhe - sogar Schlangen ...

Zuerst bemerke ich es gar nicht, dass es ein ganz anderer grüner Teppich ist, den meine schon durchnässten Schuhe auseinanderdrängen. Aber irgendwann werde ich doch aufmerksam, und siehe da, nicht die Blüten des Klein-Springkrauts, sondern .... ja was ist denn das wirklich? Angeblich wurde sie aus Südosteuropa, Westasien oder aber auch aus China eingeschleppt! Diese Fläche wird von der Lampionblume (Physalis alkekengi) frischgrün bedeckt .... später wird sie einmal hübsche rote Lampions bilden ...

Nur wenige kennen die kleine blassgelbe Glocken bildende Einzelblüte der Lampionblume (Physalis alkekengi) ... oft ist sie unter den Blättern versteckt ...

Schauen wir uns diese hübsche Pflanze doch einmal aus der Frosch- oder Mausperspektive an .... wie eine Laterne in einem wahren Urwald aus Blättern und Gräsern wirkt sie aus dieser Sicht ...

Ein überraschender Fund mitten im Wald ist dieses fast reinweiße kleine Acker-Stiefmütterchen (Viola arvensis), dem ich schon vor einigen Tagen, allerdings in einer ein wenig bunteren Form, begegnet bin.

Eine winzige Bewegung in Bodennähe läßt mich innehalten und genauer schauen - zwei winkende Fühler waren es, die mich auf den kleinen Kerl aufmerksam machten. Ein alter Freund, der mich als alten Käfersammler an frühe Jugend erinnern, zu welcher Zeit dieses Interesse begonnen und eigentlich nie aufgehört hat ... Und so kann ich aus dem Gedächtnis auch den wissenschaftlichen aber für Laien fürchterlichen Namen des Distelbocks, nämlich Agapanthia villosoviridescens hervorkramen. Da sitzt er, mit dem Hals vor und zurück ruckelnd und damit leise zirpende Geräusche von sich gebend ... was mich aber nicht hindert .....

... ihn auf den Finger zu nehmen, wohl wissend, dass er ohne Sonnenbestrahlung nur ungern abfliegt. Und so hält er vertrauensvoll einfach sogar seine Fühler still und wartet einfach ab.

Sogar als ich ihn über den Kopf hebe, um seine hübsche Silhouette gegen den regengrauen Himmel abzulichten, macht er keinen Mucks und läßt auch dies mit sich anstellen ...

Zuletzt noch ein tiefer intensiver Blick in das große dunkle Loch der Kamera, der ihm nur scheinbar die Haare zu Berge stehen läßt .... und dann setze ich ihn vorsichtig wieder dorthin, wo ich ihn hergenommen habe ... Dankbar für Vertrauen und auch für die mit dem kurzen Treffen verbundenen Erinnerungen ....

Versonnen gehe ich weiter und stehe plötzlich vor einem gertenschlank aufragenden Gewächs mit einer schlichten Blütenkrone, fast in Augenhöhe ... es ist eine Turmkresse (Turritis glabra) ... unnötig, ihren Namen erklären zu wollen ....

Der seltsame schlanke, starr und stabil wirkende Wuchs ist typisch für diese Pflanze, und dieses auf meinem Weg aufragende Exemplar ist fast 1,50 Meter hoch ... Turmkresse (Turritis glabra) ... den Namen werde ich mir merken müssen!

Sie ist fast überall zu finden, aber entweder bin ich immer an ihr vorübergegangen, weil sie so "gewöhnlich" ist, oder es ist wirklich unsere erste Begegnung hier im Bereich des Raader Waldes: die Flecken-Taubnessel (Lamium maculatum) steht in wenigen Exemplaren auf einem kleinen Hang am Wegrand ...

Gleich daran schließt sich ein dunklerer Bereich des Waldes, und der Boden ist dicht bedeckt von einem grünen Blätterpolster, den das Klein-Immergrün (Vinca minor) gebildet hat. Diese Pflanze ist oft von historischer Bedeutung, da sie auf uralte, zur Römerzeit erfolgte Besiedelung hinweisen kann: Standorte in Wäldern können auf alte Siedlungen oder Burgen zurückgehen!

Ein kleines Wunderwerk der Natur, das immer wieder zum Staunen und Bewundern anregt, ist die Wald-Glockenblume (Campanula persicifolia). Hier im lichten Bereich des Waldrandes angesiedelt, leuchtet sie trotz fehlender Sonne hell aus dem dunklen satten Grün hervor ...

Was auf den ersten Blick aussieht wie eine Heckenrose, der wir ja auch schon begegnet sind, ist in wirklichkeit ihre reinweiße Schwester: die Liege-Rose (Rosa arvensis) (sie ist oft eher unter dem Namen Feld-Rose bekannt) ist wesentlich niedriger und kleiner, damit auch unauffälliger und schmiegt sich oft in bodennähe unter andere Sträucher und Stauden, wo sie daher leicht übersehen werden kann ...

So hat sich der kurze Ausgang zu einem der bisher botanisch-fotografisch ergiebigsten gemausert ... der einsetzende Regen macht es leicht, mich für diesmal vom Raader Wald zu verabschieden ... aber sicher nicht für lange ... und nun gehts zuhause daran, die Holunderblüten zu verarbeiten ...

 

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